Cabaret
Chemnitz
21.10.2023
Opernhaus Chemnitz
Autorin: Jenny Wagner
Große Bühne im Chemnitzer Kit Kat Klub
Cabaret ist ein echter Broadwayklassiker und erlebte seine Uraufführung am 20. November 1966 im Broadhurst Theatre New York. Es wurde von Joe Masteroff, Fred Ebb und John Kander geschrieben. Die Uraufführungsinszenierung erhielt acht Tony Awards und verlebte 1.166 Vorstellungen am Broadway. Es basiert zu großen Teilen auf den autobiografischen Kurzgeschichten "Leb wohl, Berlin" des englischen Schriftstellers Christopher William Bradshaw Isherwood, welcher 1929 nach Berlin kam, dieses aufgrund der politischen Entwicklungen 1933 wieder verließ und 1939 nach Amerika auswanderte. Dort lernte er den englischen Schriftsteller John van Druten kennen, welcher aus Isherwoods Werk ein Bühnenstück mit dem Titel "I Am A Camera" erarbeitete, woraus dann 1963 der erfolgreiche Broadway-Produzent Harold Prince das Musical Cabaret erschuf. In diesem wird der Kit Kat Klub in Berlin 1929 zum Spiegel der Zeit und Dreh- und Angelpunkt deutscher Geschichte.
Ich durfte mir dank unserer wunderbaren Jana und der Presseverantwortlichen der Theater Chemnitz, Theresa Schultz (danke für den reibungslosen Ablauf!), am 21.10.2023 in toller Begleitung erstmalig den Musicalklassiker Cabaret anschauen.
Das Musical
Für Cabaret erfolgt auf der Website der Theater Chemnitz die Warnung vor sensiblen Inhalten (zurecht, Showstopper!). Denn obwohl Conférencier die Zuschauer zu Beginn des Stücks elegant und verlockend in die Welt des Kit Kat Klub und das Berlin der 1920er entführt ("Willkommen, Bienvenue, Welcome"), wird schnell deutlich, dass unter der Oberfläche einiges verborgen liegt. Schon das erste Zusammentreffen zweier Protagonisten, dem Schriftsteller Clifford "Cliff" Bradshaw und Ernst Ludwig, in einem Zug aus Paris nach Deutschland enthält erste politische Hinweise. Mit Ernst findet sich Cliff sofort im fremden Berlin zurecht und erlebt das Amüsement des Kit Kat Klub, in welchem er der Engländerin Sally Bowles, Star des Clubs und dem "verrücktesten Mädchen der Welt", verfällt (der Klassiker "Maybe this time" verzaubert den Saal). Fast unmittelbar zieht Sally zu Cliff in die Pension von Fräulein Schneider, einer alleinstehenden älteren Dame. Beide lernen dort Herrn Schultz, einen Obsthändler und echten Gentleman kennen. Auch zwischen Fräulein Schneider und Herrn Schultz bahnt sich eine Romanze an, welche sogar in eine Verlobungsfeier mündet. Bei dieser werden jedoch zum ersten Mal die politischen Verhältnisse Berlins überaus deutlich, als Ernst Fräulein Schneider von der Verbindung zum Juden Herrn Schultz abrät. Nach und nach offenbaren sich immer mehr der Gäste als Nationalsozialisten und intonieren ihre politische Gesinnung. Letztlich bewegen der öffentliche Druck und Angst Fräulein Schneider dazu, das Verlöbnis zu lösen. Cliff hat die bedrohliche Situation in Deutschland erkannt und bittet Sally mit ihm das Land zu verlassen, Diese kennt jedoch nur ihr Leben im Kit Kat Klub und empfindet die dortige Bühne als Zuhause, weshalb sie trotz aller Widrigkeiten nicht mit Cliff das Land verlässt. Diesem bleibt nur die Erinnerung, welche ihn letztlich endlich zu einem neuen Buch inspiriert und er darin seine Erlebnisse in Berlin niederschreibt.
Die Produktion der Theater Chemnitz feierte am 16. September 2023 im Opernhaus Chemnitz Premiere und spielt diverse Vorstellungen bis zum 31. Dezember 2023. Die musikalische Leitung der Inszenierung von Erik Petersen führt Maximilian Otto. Die Choreographie stammt von Danny Costello und für Bühne sowie Kostüme ist Anja Lichtenegger verantwortlich. Cabaret bildet mit mitreißenden Revuenummern, Jazzrhythmen und einer vom Ragtime inspirierten Musik die grandiosen Klangwelten der untergehenden Weimarer Republik nach.
Die Wandelbarkeit der Drehbühne im Opernhaus und die aufwendige Requisite katapultieren den Zuschauer direkt in die 1920er.
Aufwendig ausgestaltet sind vor allem die Hauptspielorte des Stücks: (natürlich) der Kit Kat Klub sowie Cliffs Zimmer in der Pension Schneider. Gleichzeitig entführt das Bühnenbild mitsamt der
detaillierten und authentischen Kostüme in die damalige Zeit. Auch hier wird der Kontrast zwischen glitzerndem Amüsement und nüchternem Politikgeschehen
offenbar.
Die Aufführung des Musicals Cabaret in Chemnitz lässt die Zuschauer schon nach kurzer Zeit sprachlos und gebannt in die Welt Berlins 1929 eintauchen. Conférencier nimmt einen herrlich skurril, jedoch auch wandelbar mit in den Kit Kat Klub (Jan-Philipp Rekeszus einfach grandios). Auch die Bühnenkulisse und Kostümkontraste prägen das Stück. Einfach himmlisch und pures Amüsement, möchte man meinen. In der ersten Hälfte wartet Cabaret zudem mit einigen Lachern und Späßen auf. Bis das Stück seine abrupte Wendung nimmt und die Ernsthaftigkeit dazu führt, dass man die Spannung im Raum förmlich greifen kann. Mit dem Showstopper vor der Pause hat der Reaktion nach zu urteilen niemand gerechnet. Das erste Mal (meiner Erfahrung nach), dass ein Vorhang ohne Applaus fällt (nichts für schwache Nerven..."haben sie nicht getan"...). Sprachlos geht man aus dem Zuschauerraum in die Pause, hat Zeit zu sinnieren und sich an die (mindestens aus dem Geschichtsunterricht bekannte) Situation in Deutschland kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten zu erinnern. Nach der Pause wartet das Stück deutlich düsterer und ernster auf, man ist allerdings umso gebannter. Die gesamte Cast ist unglaublich wandelbar und en pointe. Sallys großes Finale wird von Sybille Lambrich wie jede einzelne ihrer Performances des Abends kraftvoll und authentisch dargeboten. Es war wie Broadway (große Bühne) in Chemnitz. Vor der Leistung in diesem Stück kann man nur den Hut ziehen, Chapeau!
Die Cast
Als Conférencier brilliert Jan-Philipp Rekeszus und bannt die Zuschauer. Als "unterhaltender Ansager" führt er durch das Stück, ist mittendrin, aber steht auch
über den Dingen. Es handelt sich hierbei um den Gastgeber im Kit Kat Klub. Conférencier ist geschlechtslos, daher mysteriös und einzigartig, zugleich jedoch auch liebenswert und
komödiantisch. Neben Sally Bowles ist es der Charakter mit der stärksten Bühnenpräsenz. Conférencier bannt das Publikum indem er es in seine Performance einbezieht und zuweilen
direkt zu den Zuschauern spricht und mit ihnen spielt.
Die wunderbare Sally Bowles, gespielt von Sybille Lambrich, ist der Star des Kit Kat Klub und der Star des Stücks. Jede Performance hat so viel Kraft und Authentizität,
als wäre sie original aus den 1920ern entsprungen und als würde Sally Bowles in ihrer Berufung um ihr Leben singen. Sally hat nie Glück mit ihren Beziehungen zu Männern
(bezeichnend: "Maybe this time"), Sie ist sprunghaft und "the life of the party". Sie weiß um die Waffen einer Frau und setzt diese auch gekonnt ein. Ihre Karriere als Showsinger steht für sie
über alles. Dass sie sich letztlich gegen ein Leben mit Cliff entscheidet, offenbart eine Bindungsproblematik, welche sicherlich aus vergangenen Erfahrungen resultiert.
Der Schriftsteller Clifford Bradshaw kommt nach Berlin, um sein neues Werk zu verfassen. Herrlich sympatisch und glaubwürdig gutmütig, verlässlich und loyal spielt Jannik
Harneit. Cliff ist ein Sympathieträger und guter Freund von nebenan. Zu Anfang des Stücks muss er erst einmal einiges über sich selbst lernen, wird mit seinem Erfolg
bei Sally jedoch im Laufe des Stückes immer selbstbewusster und entschiedener. Er hat seine Prinzipien und teilt die Welt in gut/richtig und böse/falsch. In Berlin hat er vielleicht
nicht sein Glück, dafür Inspiration gefunden.
Fräulein Schneider als Inhaberin und Betreiberin der Pension Schneider wird gespielt von Sylvia Schramm-Heilfort, welche jedes ihrer Stücke wie eine Grande Dame
intoniert. Fräulein Schneider ist eine alleinstehende ältere Dame und sich dessen auch deutlich bewusst, da es für die damalige Zeit ungewöhnlich ist. Sie beurteilt und bewertet gerne
die Gäste ihrer Pension. Gleichzeitig ist sie allein und sehnt sich nach einem Partner. Ihr Ansehen ist ihr allerdings mehr wert als alles andere. Für ihren guten Ruf nimmt sie letztlich die
Einsamkeit in Kauf.
Der sympatische und vertrauensvolle Herr Schultz wird von Matthias Winter gespielt. Er ist ein gutgläubiger älterer Herr, der schon längere Zeit für Fräulein
Schneider schwärmt und mehr in ihrem Leben sein möchte. Er glaubt an das Gute und besitzt schier endlosen naiven Optimismus. Sein Leben hat er neben Fräulein Schneider seinem
Obstladen gewidmet und ist aufmerksam und fürsorglich.
Zunächst nimmt man Ernst Ludwig als Geschäftsmann und guten Freund von Cliff wahr. Er ist ein ambitionierter junger Mann. Eine krass gegensätzliche Darbietung nach der Pause
erlebt man von Lucas Baier dann als nationalsozialistischer Funktionär. Seine Aggressivität und Absoluheit geht unter die Haut. Man fühlt alles und kann es gar nicht in Worte
fassen.
Fräulein Kost betreibt regen Verkehr in der Pension Schneider und weckt einen unbekümmerten Eindruck. Sie weiß um ihre weiblichen Reize und findet nichts schamlos an ihrer Tätigkeit als Prostituierte. Sie ist spitzzüngig und kokett. Es spielt Daniela Tweesmann. Auch Fräulein Kost zeigt nach der Pause dem Zuschauer eine ganz andere Facette und rückt sehr nah an die Seite von Ernst Ludwig.
Das Ensemble erweckt besonders im Kit Kat Klub faszinierende und schillernde Choreographien zum Leben. Gleichzeitig ist auch hier die Wandelbarkeit von Darstellern perfektioniert. Den weiten Weg
von lockeren Showgirls/-boys zu todernsten Nationalsozialisten präsentiert diese Cast erschreckend überzeugend. Es spielen Romeo Salazar (mit die erinnerungswürdigste, da
einzigartige, Darstellung, bravo!), Robert Johansson, Rico Salathe, Tobias Stemmer, Daniela Tweesmann, Michelle
Saget, Clara Maria Determann, Liviana Degen, Diego Federico sowie die Damen und Herren der Statisterie.
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