· 

Kritik - Les Miserables / Autorin: Astrid Wey

Les Miserables

 

München

27.04.2024
Gärtnerplatztheater

 

Autorin: Astrid Wey

 

Les Miserables

1980 wurde "Les Miserables" in Paris uraufgeführt, bevor eine adaptierte Version 5 Jahre später am Londoner West End Premiere feierte und im Anschluss nicht nur den Broadway, sondern weitere Teile der Welt eroberte. Lange schon stand dieses Stück auf der Wunschliste des Gärtnerplatztheaters, bis endlich 2021 die Zusage für die länderübergreifende Kooperationsproduktion mit dem Theater in St. Gallen kam. Nach einer sehr erfolgreichen Spielzeit in St Gallen, waren schon vor der Münchener Premiere alle Vorstellungen im Gärtnerplatztheater restlos ausverkauft. Denn die Produktion zieht nicht nur die Münchener Theaterbesucher an, sondern Musicalfans aus ganz Deutschland nehmen den Weg auf sich, um dieses monumentale Stück zu sehen. 

 

Jean Valjean landet im Straflager, weil er für seinen hungernden Neffen einen Laib Brot gestohlen hat. Als er nach 19 Jahren Haft auf Bewährung freikommt, muss er erfahren, dass man als ehemaliger Sträfling überall verachtet wird. Daraufhin beschließt er, ein neues Leben zu starten. Er baut sich eine Existenz auf als Fabrikbesitzer und Bürgermeister Monsieur Madeleine. 

 Als der ehemalige Aufseher Javert, der mittlerweile Inspektor ist, die Arbeiterin Fantine verhaften will, verlangt der Fabrikbesitzer, dass die kranke Frau in ein Krankenhaus gebracht wird, wo er ihr später am Sterbebett verspricht, sich um deren Tochter Cosette zu kümmern. In der Zwischenzeit enthüllt Valjean den Inspektor Javert, der nahezu besessen ist von seiner Jagd nach dem früheren Sträfling, seiner wahrem Identität, damit kein Unschuldiger an seiner Stelle verurteilt wird. Er schafft es, vor Javert zu fliehen und macht sich auf, um Cosette zu suchen, die von ihren habgierigen Pflegeeltern, den Thénardiers ausgenutzt wird und im Gegensatz zu ihrer Ziehschwester Éponine in der Kneipe arbeiten muss. Für Geld überlassen sie Valjean das Kind und er flieht mit dem Mädchen nach Paris. Nach knapp 10 Jahren werden Valjean und Cosette von den Thénardiers, die mit ihrer Tochter Éponine und dem Sohn Gavroche in Paris ihr Unwesen treiben, überfallen. Der Student Marius, der ihnen zur Hilfe eilt, verliebt sich auf den ersten Blick in das junge Mädchen. Inspektor Javert, der am Tatort erscheint, erkennt Valjean zum Glück nicht, schwört aber, dass er alles daran setzen wird, diesen zu verhaften. Obwohl Éponine heimlich in Marius verliebt ist, hilft sie ihm, Cosette zu finden und verhindert sogar einen Überfall ihrer Eltern auf Valjeans Haus. Zusammen mit seinen Kommilitonen schließt Marius sich dem Anführer Enjolras an, um für die Armen zu kämpfen. Der Juniaufstand von 1832 nimmt einen dramatischen Einfluss auf das Schicksal aller Beteiligten.

 

Ich durfte mir dank des Gärtnerplatztheaters das Musical "Les Miserables" am 27.4.2024 in München anschauen.

 

Das Musical 

Regisseur dieser Inszenierung ist Josef. E. Köpplinger.

Das Musical verzichtet auf gesprochene Worte, alle Dialoge haben die Form eines Sprechgesangs. Das Publikum kommt in den Genuss eines großen Live Orchesters unter der Leitung von Koen Schotts, was bei heutigen Produktionen nur selten der Fall ist. Zudem werden die Solisten unterstützt durch den Opernchor des Gärtnerplatztheaters. Leider ist der Gesang im Vergleich zur Musik an vielen Stellen zu leise, sodass man die Texte nur schwer verstehen kann. Insbesondere bei den Passagen, bei denen mehrere Solisten gemeinsam singen oder sogar der Chor noch hinzukommt, geht der Text oft unter. Musikalisch weist die Partitur große Ähnlichkeiten zu italienischen Opern auf und wird deshalb auch oft als 'Pop Opera' bezeichnet. Viele Melodien werden immer wieder aufgegriffen, so dass ein Wiedererkennungseffekt gegeben ist.

 

Das Bühnenbild von Rainer Sinell ist relativ schlicht und hat nicht viele Requisiten. In fast allen Szenen wird die Drehbühne geschickt eingesetzt. Oft stehen die Künstler nur vor einem schwarzen Hintergrund und mithilfe von Beleuchtung und Nebel wird eine dramatische Wirkung erzielt. Vor allem im ersten Akt wechseln die Schauplätze häufig, u.a. das Straflager, die Kneipe der Thénardiers, ein Kloster, die Fabrik, das Haus Valjeans.  Dabei werden z.B. Häuserfassaden, die hin- und hergeschoben werden oder ein Zaun, der den Garten des Hauses Valjeans abgrenzt, eingesetzt. Im 2. Akt spielen sich die meisten Szenen auf den Barrikaden ab, wobei die  Angreifer nicht zu sehen sind. Das Publikum fiebert mit den Studenten hinter der Barrikade mit und fühlt sich so selber als Teil der Aufständischen. Sehr gelungen ist auch die Darstellung der Kanalisation, mit wenig Requisiten aber passender Beleuchtung wird eine düstere Stimmung erzeugt.

 

Die Kostüme von Uta Meenen sind der Kleidung des frühen 19. Jahrhunderts angepasst und orientieren sich an der Herkunft und dem Wohlstand der Protagonisten. Lediglich die Thénardiers fallen durch besonders farbenfrohe und ausgefallene Kostüme auf, insbesondere als sie ganz in rot und gold gekleidet die Hochzeitsfeier crashen.  

 

 

Die Inszenierung im Gärtnerplatztheater ist insgesamt absolut gelungen und jeder, der eines der heißbegehrten Tickets ergattern konnte, kann froh sein, dass er dieses tolle Stück sehen darf. Beeindruckende Szenen, wie z.B. die wehenden Fahnen der Aufständischen, das spritzende Blut und die brennenden Barrikaden wechseln ab mit dramatischen emotionalen Momenten, wie z.B. die Sterbeszenen von Fantine und Éponine. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, die Auftritte der Thénardiers bieten immer Gelegenheit zum Lachen. Alle Rollen sind hervorragend besetzt und selten genug kommt der Musiaclbesucher in den Genuss eines so großen Live Orchesters.  Im ersten Akt muss der Zuschauer konzentriert bei der Sache sein, um in den 90 Minuten nicht den Faden zu verlieren, wenn die verschiedenen Charaktere eingeführt werden. Die Musik ist fantastisch und eingängige Melodien wiederholen sich immer wieder. Leider ist der Ton an vielen Stellen nicht gut abgemischt, so dass der Gesang in Relation zum Orchester zu leise ist und so die Texte nicht immer verständlich sind. Musicalfans, die eine Vorliebe für große Tanznummern des Ensembles haben, sollten lieber auf andere Stücke zurückgreifen. 

 

 

Die Cast 

Armin Kahl überzeugt als ehemaliger Sträfling Jean Valjean auf ganzer Linie. Mal sehr einfühlsam und emotional, dann wieder beherrscht und selbstbewusst ist sein Spiel in jeder Situation absolut authentisch. Gesanglich brilliert er von Anfang an, insbesondere sein Solo 'Bring ihn heim' reißt das Publikum auf ganzer Linie mit und er erhält wohlverdienten Jubel und Szenenapplaus. Bravourös meistert Armin Kahl nach seiner überstandenen Krankheit die stimmlichen und spielerischen Herausforderungen dieser Rolle. Auch physisch ist die Rolle sehr anspruchsvoll, denn Valjean muss  wiederholt den schwerverletzten Marius schultern und über die Bühne tragen. Nach seiner Haftstrafe beschließt Jean Valjean sein Leben zu ändern und baut sich eine ehrbare Existenz auf. Selbstlos kümmert er sich nicht nur um Cosette, sondern unterstützt die Armen und schließlich auch die Aufständischen. Doch immer wieder trifft er auf Javert, der es sich zu seinem Lebensziel gemacht hat, Valjean wieder hinter Gitter zu bringen. Trotzdem verbittert er nicht, sondern schenkt diesem sogar seine Freiheit, nachdem die Studenten ihn gefangen genommen hatten. 

 

Daniel Gutmann steht als der ewige Jäger Javert auf der Bühne, der besessen davon ist, Valjean wieder zu verhaften. Dank der hervorragenden Maskenabteilung des Gärtnerplatztheaters, nimmt man dem jungen Sänger die Rolle des strengen und gnadenlosen Gesetzeshüters sofort ab. Stimmlich begeistert der gelernte Opernsänger mit seinem Bariton besonders bei dem Solo 'Sterne' sowie 'Javerts Selbstmord'.  Javerts ganzer Lebensinhalt ist die Jagd auf Valjean. Immer wieder treffen die Beiden aufeinander, doch der ehemalige Sträfling entkommt jedes Mal. Als Valjean seinem Widersacher nach seiner Festnahme durch die Aufständischen das Leben schenkt, verkraftet Javert dies nicht und er  wählt den Freitod. Normalerweise springt Javertbei der Selbstmordszene in den Tod. Aufgrund technischer Probleme blieb an diesem Abend jedoch die Drehbühne stecken. Daniel Gutmann löst dies jedoch absolut professionell. Völlig unbeirrt schmettert er seine Selbstmordarie, bevor er sich mit seiner Pistole eine Kugel in den Kopf jagt.

 

Wietske van Tongeren zieht als Fantine mit ihrem wunderschönen Gesang das Publikum nicht nur bei dem Lied 'Ich hab geträumt vor langer Zeit' in ihren Bann. Neben ihrer tollen Stimme überzeugt sie durch ihre emotionales, authentisches Spiel als fürsorgliche Mutter, das Publikum leidet mit der jungen Frau.. Die Arbeiterin Fantine muss ihr uneheliches Kind alleine versorgen. Als sie entlassen wird, versucht sie verzweifelt weiter Geld für ihre kranke Tochter aufzubringen und endet schließlich als Prostituierte. Als sie stirbt, gibt Valjean ihr das Versprechen, sich um ihre Tochter Cosette zu kümmern.

 

Barbara Obermaier erobert als das kecke Mädel Éponine von Anfang an die Herzen der Zuschauer. Durch ihr temperamentvolles und frisches Auftreten ist sie eine tolle Besetzung für die Rolle und begeistert mit ihrer vollen klaren Stimme auch bei ihren Soli. Die Sterbeszene spielt die Künstlerin emotional und ergreifend. Trotz ihrer zweifelhaften Herkunft als Tochter der skrupellosen Thénardiers, hat Éponine das Herz am rechten Fleck. Obwohl sie selber in Marius verliebt ist, hilft sie ihm, Cosette zu finden. Sie riskiert sogar ihr Leben, um Cosette eine Nachricht von Marius zu überbringen.

 

Überzeugend spielt Julia Sturzlbaum das junge Mädchen Cosette, das sehr behütet unter der Aufsicht Valjeans aufwächst,  und ihr Herz an den Studenten Marius verliert. Allerdings kommt bei ihrem Gesang immer wieder die Opernstimme etwas zu stark heraus.

 

Leidenschaftlich spielt Thomas Hohler den Studenten Marius, der sich auf den ersten Blick in Cosette verliebt und dabei gar nicht merkt, dass Éponine in ihn verliebt ist. Er harmoniert großartig sowohl mit Barbara Obermaier als auch mit Julia Sturzelbaum. Emotional begeistert er besonders in Èponines Sterbeszene. Auch gesanglich überzeugt er auf ganzer Linie, wenn er in dem Lied 'Dunkles Schweigen an den Tischen' den Tod seiner Kameraden beklagt, ist dies ein akustischer Hochgenuss.

 

Carin Filipcic und Alexander Franzen als das habgierige und verbrecherische Ehepaar Thénardier sorgen durch ihr übertriebenes Spiel für die Lacher in der ansonsten eher dramatischen Handlung. Mit viel Komik und Selbstironie begeistern die Beiden als Wirtsleute, Diebe und Hochzeits-Crasher. Eine mehr als gelungene Besetzung.

 

Merlin Fargel spielt neben vielen Ensembleszenen den Studentenführer Enjolras, der die Studenten auf die Barrikaden führt, um dort für die Armen zu kämpfen. Beherzt und elanvoll ruft er seine Kommilitonen zum Kampf für die gute Sache auf und schwingt die Fahnen im Kampf bis zum bitteren Ende. In allen Szenen liefert er eine tolle schauspielerische Leistung und weiß auch stimmlich zu überzeugen. 

 

Auch die Kinderdarsteller bieten eine fantastische Leistung auf der Bühne. Philipp Hopf als Gavroche, der Sohn der Thénardiers, tritt keck und mit viel Witz und Charme auf und bekommt verdient Szenenapplaus. Ilayda Yücel als kleine Cosette spielt überzeugend das arme Pflegekind, das von den Thénardiers ausgenutzt und schikaniert wird. Ihre helle klare Stimme ist sehr schön anzuhören. Alice Motatianu steht als kleine Éponine auf der Bühne. 

 

In weiteren Rollen im großartigen Ensemble sind auf der Bühne zu sehen: Jeremy Boulton, Anna Katharina Falke, Evita Komp, Katharina Lochmann, Peter Neustifter, Leoni Kristin Oeffinger, Jacob Romero Kressin, Christian Schreiner, Florentine Schnitzel, Thijs Snook, Michael Touschek und Maren Verhaegh.

Unterstützt werden die Solisten vom Chor und Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0